Spurensuche in Kotzen

In den Herbstferien des Jahres 2000 verbrachte ich mit meiner Familie eine Woche auf einem Bauernhof in der Ostprignitz. Die Gründe für die Wahl des Urlaubsortes hatten nichts mit meinem Hobby zu tun. In einem Büchlein zum Thema „Urlaub auf dem Bauernhof", welches eine entsprechende Auswahl von Höfen unter dem Aspekt ökologischer Landwirtschaft beinhaltet, fand sich unser Reiseziel in einem Dorf bei Kyritz. Der schwer zu beschreibende Charme Prignitz nahm mich in den Jahren 1996 und 1997 gefangen, als ich erstmals in dieser Gegend weilte. Ich hatte bei den Reisevorbereitungen wenig Augenmerk auf die Umgebung des Urlaubsortes betreffs für das Hobby interessanter Ziele. Immerhin wurde in dem Faltblatt unseres Gastgebers, der Familie von Dallwitz, auf das Kleinbahnmuseum in Lindenberg hingewiesen. Von Anfang an aber stand fest, daß ich das Dorf Kotzen unbedingt besuchen wollte. Am 26. Oktober 2000 war es dann soweit. Nach dem Mittagessen machte ich mich auf den Weg. Zunächst war der Bahnhof in Kyritz mein Ziel. Nach einigen dokumentarischen Fotos begab ich mich auf der B 5 in Richtung Nauen auf die Reise nach Kotzen. Hinter Friesack folgte ich der Wegweisung nach Rathenow. Bei dem Dorf Landin verließ ich die Bundesstraße und folgte dann der Wegweisung nach rechts - Kotzen 3 km. Langsam stieg die Spannung, war ich doch nun meinem Ziel ganz nahe. Die Straße war schmal und bestand aus Betonplatten. Mitten auf dem Acker stand ich erneut vor der Wahl zwischen links und rechts. Die Logik und eine Anhöhe, die ich für das Hohe Rott hielt, bewogen mich zum Abbiegen nach Rechts. der Weg war hier nur noch in den Fahrspuren mit Betonplatten belegt. Ich will niemandem zu nahe treten, aber ich dachte einen Moment, „hier ist wirklich die Welt zu Ende!". Daß ich mich bei diesem Gedanken auf der Trasse der Kleinbahn „Nauen - Senzke - Rathenow" befand, erfuhr erst mehr als eine Stunde später. Noch aber war ich gespannt, ob ich auf dem richtigen Wege war. Als wenige Minuten später unter regengrauem Himmel des Ortseingangschild von Kotzen auftauchte, wußte ich, daß mein Ziel erreicht war. Natürlich war ich darauf gefaßt, kaum noch Spuren der Eisenbahn zu entdecken. Der von Herrn Taege erwähnte alte Bahndamm dürfte auch im Jahr 2000 das letzte Überbleibsel sein. Mich interessierte vor allem, wie die in den Taege´schen Werken erwähnte Molkerei aussah und ob noch etwas vom Stationsgebäude zu erkennen war. An den ersten Häusern des Ortes kam mir im Nieselregen eine Frau mittleren Alters entgegen, die also auf keinen Fall mehr die Schmalspurbahn erlebt haben konnte. Auf meine Frage nach den Resten der Eisenbahn in Kotzen erklärte sie mir den Weg zu dem tatsächlich noch vorhandenem Bahndamm. Auch dem Standort der Molkerei konnte sie mir zeigen, standen wir doch in Sichtweite des ehemaligen Stationsgeländes. Ein Regenschauer zog über Land, als ich parallel zum Bahndamm auf die Anhöhe hinter Kotzen hinauffuhr. Die Steigung der Strecke war hier doch recht beachtlich. So erklärte sich die Tatsache, daß die Lok 6 als leistungsstärkste Maschine der RSN bevorzugt zwischen Rathenow und Senzke eingesetzt wurde. Die grauen Wolken verzogen sich bald. Der Radiosender „Antenne Brandenburg" hatte gemeldet, daß der Wind die Regenwolken vertreiben werde. Ich begann meine private Fotodokumentation der Station „Kotzen" und Umgebung mit einem Blick auf´s Dorf. Der inzwischen von der Natur zurückeroberte Bahndamm wurde ebenfalls im Bild festgehalten. An einem Tor des teilweise noch genutzten ehemaligen LPG - Geländes hatte man eine Durchbruch des Dammes geschaffen. Von hier aus lief ich letzen Meter auf dem Bahndamm und holte mir im Gras nasse Füße. Für die Lokalisierung des Stationsgeländes war einige Phantasie nötig. Der Standort von zwei älteren Gebäuden mit interessanter und ungewohnter Dachform halfen dabei. Es mußte sich dabei um die ehemalige Molkerei handeln. Eine industrielle Nutzung der Gebäude war durchaus vorstellbar. In dem Gleisplan von Herrn Taege ist eine „Insel" zwischen dem Zugang zur Ladestraße, der Landstraße und einem weiteren Weg dargestellt. Ich ging davon aus, daß die so tatsächlich existiert hat. Da rechter Hand eine der vermeintlichen Molkerei eine mit Bäumen bewachsene Grünfläche lag, war ein weiterer Orientierungspunkt gegeben. Das Hauptgleis dürfte etwa an der Stelle gelegen haben, an der sich heute der Zaun des LPG - Geländes befindet. Der mit Betonplatten belegte Weg ist vermutlich die ehemalige Ladestraße inklusive Zufahrt. Daraus ergibt sich dann auch die Lage des Anschlußgleises zur Molkerei. Über die weitere Trassenführung in Richtung Kriele gab mir erst ein folgendes Ereignis dieses Tages Aufschluß. Einige Fotos des Terrains der ehemaligen Station Kotzen rundeten den fotodokumentatorischen Teil meiner Reise ab. Vergeblich versuchte ich bei der Weiterfahrt den Anschluß zum Gut zu lokalisieren, wo Spiritus verladen wurde. Ich meinte, davon in den Schriften des Herrn Taege gelesen zu haben. Genauso erging es mir bei der Suche nach der Brücke der RSN. Ohne es zu wissen überquerte ich sie zweimal. Erfahren habe ich das aber erst etwas später und das kam daher, daß ich beschloß, noch Kriele und Senzke aufzusuchen.

So kehrte ich also nach Landin zurück und bog ab in Richtung Kriele. Dort suchte ich nicht nach den Spuren der Eisenbahn sondern genoß nur die Tatsache einen weiteren von der RSN berührten Ort kennenzulernen. An den Ende des Dorfes endete auch die befestigte Straße. Mein Orientierungssinn ließ mich vermuten, daß mich der Sandweg nach Senzke führen könnte. Allerdings fürchtete ich, stecken zu bleiben oder das Auto zu beschädigen. Ich hatte schon gewendet, als mir ein Jeep mit Anhänger entgegen kam. Auf mein Winken hielt er an. Aus der Frage nach dem Weg entstand ein längeres sehr anregendes Gespräch mit dem Landwirt. Hier erfuhr ich nun, daß ich auf der Trasse der RSN gefahren war. Es betraf den Weg der nur noch in den Fahrspuren mit Betonplatten belegt war. Zu Hause wurde mir beim Nachschlagen in der Literatur auch klar, daß die Wegüberführung über das Wasser ( der Havelländischer Hauptkanal ) bei Kotzen mit der Überführung der RSN über dieses Gewässer identisch war. Im Grunde waren also alle Spuren der RSN in und bei Kotzen gesichtet worden. Im Gespräch wurde auch der Namen des Herrn Weikert in Senzke als profunder Kenner der RSN genannt. Obwohl mein Namengedächtnis sehr schwach ist, gelang es mir den Namen zu merken. Bei der Plauderei erhielt ich noch einen Hinweis auf ein Stück Bahndamm zwischen Kriele und Haage, welches noch erkennbar ist. Ich folgte dem Jeep, der genau an diesem Bahndammrest abbog. Dort kam es noch zu einem kurzen Gespräch in dem mir die weitere Trasse der Bahn beschrieben wurde. Dann trennten sich meine Wege und die des freundlichen Landwirtes. Viel später bedauerte ich, nicht nach dem Namen gefragt zu haben. Eine Grußkarte aus dem Harz hätte ich gern auf die Reise geschickt. In teils abenteuerlicher Fahrt über einen ausgefahrenen Sandweg gelangte ich dann nach Senzke. Dort war ich mir sicher das Gebäudeensemble des Bahnhofs vorzufinden. Da es direkt an meinem weiteren Weg zurück zur B 5 lag, war keine Suche nötig. Abgesehen von Emporwachsen der Bäume und Büsche sah das ehemalige Bahnhofsgelände in Senzke so aus, wie es auf den Fotos des Herrn Taege abgebildet ist. Ein Foto vom leider schon sehr verfallenen Lokschuppen und einige Minuten andächtigen Verweilens in denen ich mir den Betrieb vergangener Tage vorzustellen versuchte, gönnte ich mir noch. Dann begab ich mich voller Euphorie ob des Erlebten und erneut begeistert von der RSN auf die Rückfahrt nach Tornow.

Blick über das ehemalige Bahnhofsgelände aus Richtung Hohes Rott
Blick über das ehemalige Bahnhofsgelände aus Richtung Hohes Rott